Erinnerungskultur unter besonderen Voraussetzungen: Rückblick auf das Gedenken an die Reichspogromnacht (2020)

Am Montag, dem 11. November 2020 war, wie seit einiger Zeit jedes Jahr in Selters, eine Gedenkfeier zur Reichspogromnacht geplant. Dieses Jahr sollte die Klasse 9d der IGS Selters an der Feier teilhaben. Die Klasse hatte geplant, an der diesjährigen Feier einen Einblick in die damalige Zeit durch Bild- und Videoquellen zu geben und im Sinne einer jüdischen Tradition mit dem Ablegen von Steinen der Opfer der Pogromnacht zu gedenken. Leider wurde die Feier zunächst auf Grund der Corona-Maßnahmen abgesagt. Dennoch sprachen wir im Anschluss an unsere Vorbereitungen mit der Westerwälder Zeitung. Hier ein Auszug aus dem daraus entstandenen Artikel, der veröffentlicht wurde:

„[…] An der Integrierten Gesamtschule Selters (IGS) hatten sich auch in diesem Jahr Schüler auf die Gedenkfeier vorbereitet. Da sie ihre geplante Präsentation von Bildern und Videosequenzen mit teils aufgezeichneten, teils live gesprochenen Erläuterungen und Kommentaren nicht zeigen konnten, planen sie jedoch, sie im kommenden Jahr nachzuholen. Lehrer Carsten Knopp und die Schüler Lucy Decker, Lisann Görg, Kerim Tütüncü und Dustin Eichner aus seiner Klasse 9d berichten stellvertretend für die gesamte Klasse, wie sie ihren Beitrag zu der Gedenkveranstaltung vorbereitet haben. […]

Lucy berichtet, wie sich die 30 Schüler, die […] ihr Interesse an der Mitwirkung an der Veranstaltung erklärt hatten, mit Dokumentarfilmen und Büchern in das Thema der Judenverfolgung und der Pogrome eingearbeitet hatten. „So konnten wir uns immer besser in die Situation versetzen“, sagt sie. Dabei ging es um die allgemeine Entwicklung, aber auch um die Namen und Geschichte von jüdischen Familien in der Region. „Vor allem die Berichte der Zeitzeugen und die Original-Filmaufnahmen haben uns geholfen, uns in die Situation hineinzuversetzen“, sagt Dustin. Und Kerim fügt hinzu, dass der Gedanke, dass die Zeitzeugen damals noch Kinder waren, ihn besonders getroffen hat: „Schlimm waren diese Schicksale. Es gab Kinder, vor deren Augen der Vater erschlagen wurde.“ Lisann schildert, dass sie und ihre Klassenkameraden zwar immer wussten, dass es eine schlimme Zeit war, „aber wie schlimm es wirklich war, haben wir erst jetzt herausgefunden“. Darüber habe sich bei den Schülern auch eine gewisse Enttäuschung über Deutschland und die Menschen hier zur Zeit des Naziregimes eingestellt. Die gute Recherche seiner Schüler und die tiefen Einblicke in jene Zeit lobt auch der Klassenlehrer. Zumindest eine Geste, die die Schüler für die Veranstaltung geplant hatten, wollen sie noch umsetzen: Das Ablegen von Steinen auf den Grabmalen der Verstorbenen ist eine jüdische Tradition, die sie aufgreifen. Lehrer Knopp hofft, dass er der engagierten Klasse diese Möglichkeit trotz der Corona-Auflagen geben kann. So haben die Schüler vor, von der IGS zum Marktplatz zu laufen, um dort am Gedenkstein für die jüdische Gemeinde Selters und die zerstörte Synagoge Steine abzulegen.“ [Mit freundlicher Genehmigung der Rhein-Zeitung; Quelle: Katrin Maue-Klaeser: Stilles Gedenken an schlimme Schicksale. In: Westerwälder Zeitung, 11.11.2020, S. 18] 

Mit etwas Verzögerung konnten wir dann doch noch unser eigentliches Vorhaben teilweise umsetzen. Auch darüber wurde in der Presse berichtet: 

„Schülerinnen und Schüler der IGS Selters legten am Denkmal zur Reichspogromnacht in Selters Steine zum Gedenken an die Gräueltaten vor 82 Jahren nieder. Die eigentliche Gedenkfeier am 9. November, in der die Klasse Videos mit Dokumenten aus der Zeit hätte zeigen wollen, konnte wegen der Corona-Beschränkungen nicht stattfinden. […]

Lucy Decker sagte: „Natürlich wussten wir alle vorher, was damals mit den Juden passiert ist. Aber durch die Original-Bilder und Texte konnten wir die Schicksale viel besser nachvollziehen.“ Auch Stadtbürgermeister Rolf Jung schilderte seine Erfahrung, wonach sich Gedenken am besten durch persönliche Berührtheit und durch Beziehungen zu Menschen erschließe. Schülerin Alina Hoffmann verlas einen Text, der die Symbolik des Steineniederlegens im Judentum erklärte. Auch das war Thema des Unterrichts gewesen. Es war der Wunsch der Schüler, Steine als Symbol des Erinnerns und des Schutzes abzulegen.

Weil das Gedenken nicht öffentlich stattfinden konnte, waren einige wenige Gäste stellvertretend eingeladen: Der katholische Diakon Dieter Wittemann, die evangelische Pfarrerin Swenja Müller, Rita Steindorf, Pfarrer im Ruhestand Michael Schweitzer, der von Verfolgung in der eigenen Familie berichtete und Ilse Bracher, die sich seit Jahren um das Wirken der Schüler bei der Gedenkfeier bemüht. Dr. Simonis von der jüdischen Kultusgemeinde aus Koblenz hatte wegen einer Autopanne kurzfristig abgesagt. [Quelle: Agentur media schneider, Dierdorf] 

Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen war die Vorbereitung und (teilweise) Durchführung der Veranstaltung eine lohnende Erfahrung. Natürlich wäre es angemessener gewesen, die Gedenkfeier wie eigentlich geplant durchzuführen, aber vielleicht können wie in diesem Jahr die Veranstaltung entsprechend nachholen.

Klasse 9d

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